Am Samstag, den 26.Juni hat die Berliner SPD bei ihrem Parteitag mit knapper Mehrheit für den Weiterbau der A100 zum Treptower Park gestimmt. Im Mai 2009 war das Projekt mit knapper Mehrheit durchgefallen.
Die SPD vollzieht damit eine verkehrspolitische Rolle rückwärts zur Betonpolitik des vorigen Jahrhunderts: Die Parteigrößen kippen den Parteitagsbeschluss von 2009 gegen die A 100-Verlängerung
Wir gehen dennoch davon aus, dass die A 100 nicht gebaut wird. Unsere Pressemitteilung dazu.
Eindrücke vom SPD-Landesparteitag am 26. Juni 2010 hier
Dank einer SPD-Genossin, die uns per SMS mit aktuellen Infos versorgte, waren wir stets auf dem neuesten Stand über den Verlauf des Parteitags. Die Abstimmung über den Weiterbau der Stadtautobahn 100 wollten wir dann am Ort des Geschehens verfolgen. Wir fuhren also zum Berliner Congress Center am Alexanderplatz. Am Eingang großes Erstaunen:
Im Gegensatz zum letzten Jahr, wo alle nicht geladenen Gäste bereits am Eingang gnadenlos abgewiesen wurden, konnten wir uns dieses Jahr einfach anmelden, bekamen ein Namensschild
und konnten hinein. Keiner störte sich an unseren STOP-A100 T-Shirts.
Im Saal wirkten die Delegierten wie eine Mischung aus konzentriert Arbeitenden und einem herumschwirrenden Bienenschwarm. Viele Leute liefen umher, um sich mit anderen SPD-Mitgliedern zu unterhalten, andere twitterten alles gleich in die Online-Welt hinaus. Zwischendurch hielten alle mal schnell die roten Abstimmungskarten in die Höhe.
Links neben dem Rednerpult saß der wiedergewählte SPD-Landeschef Michael Müller, daneben Klaus Wowereit, hemdsärmlig mit über den Schultern gehängtem Pullover. Er sei bewußt im Freizeitlook gekommen, sagte er später. Beiden Betonbefürwortern sah man die Anspannung auf die bevorstehende Abstimmung deutlich an. Links außen in der zweiten Reihe saß die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge Reyer.
Am späten Nachmittag begann endlich die Diskussion um die Weiterbau der A100. Der erste Redner aus Spandau mahnte an, dass es unglaubwürdig sei, wenn die Berliner SPD ihr Votum vom letzten Jahr gegen den Ausbahnausbau ändern würde, obwohl keine neuen Argumente für die Autobahn hinzugekommen seinen. Außerdem diskutierte er die bekannten Argumente gegen den Weiterbau.
Es wollten 18 SPD-Genoss_innen zur Autobahn sprechen und die Rednerliste wuchs immer weiter an. Die Gegner des Ausbaus argumentierten sachlich die allseits bekannten Gegenargumente. Mehrmals wurde thematisiert, dass man nicht davon ausgehen könnte, das auf den 16. Bauabschnitt bis Treptow ein Weiterbau bis zum Vollring erfolgen würde und dass man dann mit den Problemen vor allem in Alt-Treptow und Friedrichshain auf Dauer leben müsste, was nicht sozialdemokratisch wäre.
Ein Delegierter sagte, dass heute alle auf den Großen Showdown warten. Aber so solle es nicht sein. Showdown bedeutet umbringen und wir wollen Herrn Wowereit nicht umbringen. Wir wollen verhindern, dass er sich selbst ins Knie schießt.
Die Autobahnbefürworter nannten mehrmals persönliche Beispiele wie: wenn ich mit dem Auto von A nach B fahren möchte, dann hakt es hier und staut sich da… Interessanterweise waren die genannten Routen gut durch die S-Bahn erreichbar und perfekte Beispiele für die Nutzung des ÖPNV. So schallte es wiederholt „S-Bahn, S-Bahn“ durch den Saal.
Auch das Argument, dass die um 3,2km verlängerte Autobahn die Berliner Wirtschaft dauerhaft ankurbeln würde, wurde mehrfach dargelegt. Wie das funktionieren soll, wurde nicht erörtert.
Pikant, dass der Lichtenberger Baustadtrat Andreas Geisel sich auch mit diesem Argument für die Autobahnverlängerung ausspricht, obwohl die A100 nach Senatsprognosen über 6000 KFZ täglich über die Hauptstraße nach Lichtenberg spülen und nach dem hypothetischen Ausbau der Stadtautobahn bis zur Frankfurter Allee bis zu 100.000 Autos täglich direkt vor das Lichtenberger Rathaus an der Kreuzung Möllendorffstraße/ Frankfurter Allee vorfahren würden.
Ich fragte Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky, der sich nicht an der Diskussion beteiligte, nach seiner Position: Für seinen Bezirk habe die A100 eine Entlastung gebracht, er befürworte daher den Ausbau. Für ihn ist er allerdings nur sinnvoll, wenn er gleich bis zur Frankfurter Allee und nicht nur bis Treptow erfolgt.
Zum Ende sprach Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer, die das Reizwort A100 kaum in den Mund nahm, dafür von einem Verkehrskonzept für Berlin schwärmte, was den Autoverkehr aus der Innenstadt heraushalten soll. Wie dies mit einer verlängerten Stadtautobahn funktionieren würde, die den Verkehr in das Stadtzentrum hineinführt, verriet sie nicht.
Am Schluss der Diskussion sprach der rhetorisch gewandte Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Sinngemäß sagte er: seht auf meinen Look, ich bin in meiner Freizeit hier und wir sollten den Ball flach halten. So wichtig sei es nun auch wieder nicht. Ob er sich einen Weg ebnen wollte, falls „seine“ Autobahn durchfällt?
Er wiederholte das Argument, dass man durch die verlängerte Betonpiste die Wirtschaft ankurbeln würde, die dann die Steuereinnahmen generiert, die Berlin für Bildung und Kultur benötigt. In diesem Zusammenhang bejahte er die Gentrifizierung, die der Autobahnanschluß schon in Pankow gebracht hätte.
Da die A100 eine Auftragsarbeit vom Bund sei, bräuchte man darüber eigentlich gar nicht abstimmen. Er habe keine Ahnung von Verkehrspolitik und vertraue ganz auf die Meinung seiner Verkehrsexperten.
Außerdem meinte er, man brauche keine Angst vor den Grünen haben. Vielleicht braucht er die Autobahn nicht unbedingt als reale Betonmasse, sondern eher als gewichtige Verhandlungsmasse bei zukünftigen Koalitionsverhandlungen?
Nahezu beschwörend forderte er die Zustimmung und den Gehorsam seiner Partei für die Senatslinie ein.
Am Ende ging es noch einmal heiß her, als sich ein junger Genosse über die lange Redezeit von Wowereit beschwerte und er von seinem Rednerpult die direkt neben ihm sitzenden Betonbefürworter Müller und Wowereit verbal angriff.
Die Diskussion zeigte deutlich, es gibt keine unentschlossenen Genossen mehr, alle haben eine klare Position, es gibt nur „entweder-oder“. Die Jüngeren waren eher Autobahngegner, und der Beifall zu ihren Beiträgen schien stärker.
Nach der von einem Genossen aus Marzahn-Hellersdorf geforderten geheimen Abstimmung schwirrten die Wahlurnen durch die Reihen und während der Auszählung wurden weitere Anträge abgearbeitet.
Zwischendurch wurde kurz unterbrochen, um das Abstimmungsergebnis zu verkünden. Plötzlich verstummte das emsige Treiben und der ganze Saal knisterte vor Spannung. Emotionslos und im besten Partei-Deutsch die Bekanntgabe: „In geheimer Abstimmung entfielen auf den Antrag 18/2 108 Stimmen, auf den Antrag 18/3 113 Stimmen. Es gab eine Enthaltung.“ Soll heißen, eine knappe Mehrheit möchte eine 3,2km lange Betonschneise und dafür über 400 Millionen Euro an Steuergeldern verpulvern.
Das groß an die Leinwand projizierte würfelförmige Logo der SPD wirkte plötzlich wie aus Beton gegossen.